Arbeitsschritte

Gefährliche Stoffe auf ehemaligen Industriestandorten oder Rüstungsaltstandorten haben vielfach zu Verunreinigungen in Grundwasser und Boden geführt. In einem standardisierten Verfahren werden gezielt jene Flächen und Bereiche herausgefiltert, die saniert werden müssen.

Historische Recherche

Ziele der historischen Recherche waren die Rekonstruktion der Nutzungsgeschichte, die Erfassung des Schadstoffinventars sowie die Lokalisierung von Kontaminationspotentialen.

Noch vorhandene Akten und Konstruktionszeichnungen der Sprengstoffwerke und Behörden wurden dazu ausgewertet. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommene Luftbilder wurden aus verschiedenen Archiven beschafft. Ergänzt wurden diese Recherchen durch die Befragung ehemaliger Mitarbeiter/-innen und Anwohner/-innen.

Aus den Unterlagen konnten Bestandspläne für Gebäude und Leitungen erarbeitet werden, die Grundlage für weitere Untersuchungen waren. Lücken ergaben sich wegen fehlenden Unterlagen oder weil die Ausführung vielfach anders war als die Planung.

Durch die Ermittlung der funktionalen Zusammenhänge sowie Art und Menge der eingesetzten Stoffe und Produkte konnten mögliche Belastungsschwerpunkte ermittelt und Abschätzungen des Gefährdungspotentials vorgenommen werden.

Erkundung

Die Erkundung erfolgte in verschiedenen Phasen nach unterschiedlichen Untersuchungskonzepten:

  • Rasteruntersuchung 1990/1991: gleichförmiges Raster aus ca. 2.500 Rammkernsondierungen im Abstand von 50 m und einer Tiefe von 2 m auf einer Fläche von 420 ha mit dem Ziel, einen ersten Überblick zur flächigen Verteilung von Belastungen zu erhalten
  • Standortuntersuchungen bis 1992: Rammkernsondierungen bis in eine durchschnittliche Tiefe von 3 m, Mischproben jeweils in 1-Meter-Schritten aus Dreiecksflächen von 24 m². Zur Absicherung dieser Mischbeprobung wurde eine Kette von Einzelsondierungen in einem 15-m-Abstand um die Verdachtsfläche niedergebracht. Ab 1993 wurden die Dreiecksflächen auf 28 m² vergrößert und der Abstand in der verdoppelten Absicherungskette auf 8 m verändert.

Rammkernsondierung
Rammkernsondierung

Probeentnahme
Probeentnahme

Handsondierung
Handsondierung

Ab 1994 wurden durch Verknüpfung der Raster- bzw. Standorterkundung Untersuchungskonzepte auf der Basis stern- bzw. rasterförmiger Beprobungen entwickelt. Die anzuwendende Strategie richtete sich dabei nach den im Einzelfall anzutreffenden Gegebenheiten (Verdachtsflächenstatus, Plausibilität der vorliegenden Erkenntnisse etc.). Wesentlichen Einfluss auf die Beprobungsstrategie hatten auch die Sanierungskonzeption und die Gefährdungsabschätzung, mit denen 1994/95 die Zielvorgaben an die Bodenerkundung präzisiert wurden.

Sensibel genutzte Flächen wurden seit 1994 durch Handsondierungen untersucht und in Flächen von jeweils 75 m² (Zier- und Nutzgarten) bzw. 150 m² (Rasenflächen) mit jeweils zwei Mischproben pro sechs Sondierungen aus den Horizonten 0 bis 0,3 m und 0,3 bis 1,0 m Tiefe beprobt.

Im Rahmen der Erkundungsarbeiten wurden im Zeitraum 1990 bis 2005

  • ca. 13.700 Sondierungen bzw. Beprobungsfelder abgeteuft,
  • ca. 35.400 Probenahmen, und
  • ca. 44.800 Bodenanalysen

durchgeführt. Neben den herkömmlich verwendeten Rammkern- und Handsondierungen wurden folgende zusätzliche Aufschlussmethoden angewandt:

  • Kernbohrungen bei tief liegenden Altgebäuden oder bei einem hohen Trümmeranteil im Untergrund.
  • Schürfe, denn sie bieten bei Belastungen, die in engem Zusammenhang mit baulichen Anlagen stehen, bessere Aufschlüsse. Der Anwendbarkeit von Schürfen sind allerdings wegen des erheblichen Umfangs der Eingriffe Grenzen gesetzt.

Gefährdungsabschätzung

Aufgabe der von April 1993 bis August 1994 durchgeführten Gefährdungsabschätzung war es, eine standort-, nutzungs- und schutzgutbezogene Bewertung des Rüstungsaltstandortes auf der Grundlage der Erkundungsdaten in Bezug auf die Schutzgüter "menschliche Gesundheit", "Grundwasser" und "Ökosystem" vorzunehmen.

Das im Zuge der Gefährdungsabschätzung verfolgte Vorgehen fußte auf Leitlinien zur Durchführung standortbezogener Expositionsabschätzungen und darauf basierender Gefährdungsabschätzungen, die insbesondere seit den 1980er Jahren von der US-EPA erarbeitet werden.

Die Philosophie der Bewertung gründet auf der Zusammenführung von zwei Betrachtungsebenen: Zum einen wird jeweils schutzgutbezogen der Stoffübergang (Transmission) vom Donator (Boden) zum Akzeptor (Schutzgut) auf der Grundlage spezifischer Transportmodelle beschrieben. Hierbei sind je nach den Standortverhältnissen verschiedene Expositionspfade zu würdigen, bevor eine zusammenfassende Abschätzung der sich insgesamt ergebenden Exposition des Schutzgutes vorgenommen werden kann. Auf diese Weise kann ausgehend von den matrixbezogenen Erkundungsergebnissen (z.B. Bodenuntersuchungen) und den schadstoff- und schutzgutspezifischen Modellbetrachtungen die äußere Zufuhr von Schadstoffen zum Akzeptor (z.B. Mensch) quantifiziert werden.

Zur Bewertung der auf diese Weise abgeschätzten Schadstoffzufuhren ist dann zum anderen eine Verschneidung mit den bei diesen Expositionen zu erwartenden Wirkungen auf das Schutzgut, z.B. im Hinblick auf die menschliche Gesundheit, vorzunehmen.

Hierzu müssen die toxikologischen Wirkprofile und wesentlichen Kenngrößen zur Beurteilung von Dosis-Wirkungsbeziehungen zusammengetragen werden mit dem Ziel einer Festlegung, bis zu welchen aufgenommenen Schadstoffdosen eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit ausgeschlossen werden kann.

Daraus leiten sich schließlich stoffspezifisch tolerierbare Körperdosen ab, die in mg/kg Körpergewicht (KG) und Tag angegeben werden.

Als Resultat der Zusammenführung dieser beiden Bewertungsstränge können transparent Stoffgehalte im Boden abgeleitet werden, bei deren Einhaltung nach aktuellem Wissensstand und unter Zugrundelegung spezifischer Nutzungsszenarien eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit ausgeschlossen werden kann.

Diese zunächst als nutzungsspezifische Handlungswerte abgeleiteten Beurteilungshilfen waren ein wesentliches Ergebnis der Gefährdungsabschätzung, da sie die Grundlage für die Bodensanierung darstellten.

Die Gefährdungsabschätzung erfolgte in zwei aufeinander aufbauenden Schritten zu je zwei Stufen: Phase I umfasste die wesentlichen Arbeiten zur Ermittlung der Eckpunkte und Randbedingungen und definierte die Grundstruktur der Gefährdungsabschätzung. In Phase II wurde dieser Rahmen dann schließlich mit Inhalten gefüllt und Gefahrenbeurteilungen im Hinblick auf die Schutzgüter "menschliche Gesundheit", "Ökosystem" und "Grundwasser" vorgenommen sowie Handlungsoptionen zum weiteren Vorgehen aufgezeigt.

In einem ersten Schritt war zunächst das zu berücksichtigende Stoffinventar bzw. in der Gefährdungsabschätzung zugrunde zu legende Leitparameter abzuleiten.

Die Ableitung der Leitparameter für den Standort der DAG erfolgte auf der Grundlage eines begründeten Kriterienkatalogs (z.B. Toxizität, Mobilität, Häufigkeit am Standort etc.) und definierte schließlich die folgend aufgeführten Stoffgruppen:

Gruppe MNT (Mononitrotoluole)
= 2-MNT + 3-MNT + 4-MNT

Gruppe DNT (Dinitrotoluole + Metabolisierungsprodukte)
= 2,4-DNT + 2,6-DNT + 3,4-DNT + 2,3-DNT + 2,5-DNT + 2-A-6-NT + 2-A-4-NT + 2,6-DAT + 2,3-DAT + 2,4-DAT

Gruppe TNT (Trinitrotoluole + Metabolisierungsprodukte)
= 2,4,6-TNT + 2,4,5-TNT + 2,3,4-TNT + 4-A-2,6-DNT + 2-A-4,6-DNT + 2,6-A-4-NT + 2,4,6-TAT

Gruppe DNB (Dinitrobenzole)
= 1,3-DNB + 1,2-DNB + 1,4-DNB

Im nächsten Schritt der Bearbeitung waren die vorliegenden Kenntnisse zur Toxizität der Leitparameter zu recherchieren und auszuwerten.

Dabei wurde herausgearbeitet, dass Nitro- und Aminoverbindungen oral (durch Verschlucken von Boden und durch Nahrungsaufnahme), dermal (über die Haut) und pulmonal (durch Einatmen) in den menschlichen Körper aufgenommen werden können. Mit dem Stoffwechsel werden die Substanzen umgewandelt, was insbesondere in der Leber geschieht. Hierbei treten bei den Leitparametern des DAG-Geländes charakteristische "Giftungsreaktionen" auf. Als relevante toxische Wirkungen wurden zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Gefährdungsabschätzung insbesondere die folgenden Effekte erkannt:

  • blutschädigende Wirkung durch Methämoglobin-Bildung, wodurch der lebensnotwendige Sauerstofftransport des Hämoglobins beeinträchtigt wird;
  • Organschäden sowie mutagene und kanzerogene Wirkungen als Folge der Bindungsfähigkeit der sich im Stoffwechsel bildenden hochwirksamen Metaboliten;
  • differenzierte Wirkungen einzelner Substanzen in Form von reproduktionstoxischen Effekten.

Im Zuge der quantitativen Abschätzung der toxischen Wirkungen wurden aus Tierversuchen sowie Zellkulturtests Dosis-Wirkungsbeziehungen in Bezug auf nicht-kanzerogene Effekte abgeleitet, die – mit entsprechenden Unsicherheitsfaktoren (bis 1.000) versehen – als tolerable Körperdosen für eine kurz-, mittel- und langfristige Exposition ermittelt wurden.

Hinsichtlich der kanzerogenen Wirkungen wurde demgegenüber davon ausgegangen, dass Schwellendosen nicht existieren. Die Ableitung als tolerabel anzunehmender Körperdosen erfolgte in diesem Kontext auf der Grundlage von Risikoabschätzungen mit der Unterstellung eines gesellschaftlich akzeptierten Risikos von 1:100.000.

Anschließend an die Einzelstoffbeurteilungen wurden die Leitparameter in einer gewichteten Summierung zusammengeführt, da eine Einzelstoffbewertung zu einer Unterschätzung der Gesamtgefährdung führen konnte und andererseits die toxikologische Beurteilung im Wesentlichen dieselben Zielorgane bzw. kritischen Wirkungen (Blut/Milz bzw. Kanzerogenität) erkennen ließ.

Hierzu wurden für alle Parameter hinsichtlich kurz-, mittel- und langfristiger Expositionen Gewichtungsfaktoren der toxikologischen Bewertung ermittelt. Relative Bezugssubstanz (Gewichtungsfaktor 1) war dabei die im DAG-Gebiet mit Abstand am häufigsten vorkommende Verbindung 2,4,6-TNT. In der Folge konnten tolerable Körperdosen in Form gewichteter Summenwerte (TNT-Äquivalente in mg/kg KG und Tag) abgeleitet werden.

Anschließend wurden die toxikologischen Daten in möglichst realitätsnahe Expositionsrechnungen einbezogen. Hierzu waren die relevanten Expositionspfade zu wichten, um die standörtlich bedeutsamen Expositionsmöglichkeiten beurteilen zu können. Dies erfolgte unter Berücksichtigung spezifischer und zuvor jeweils abgeleiteter Konventionen zur Berechnung der pfadspezifischen Expositionen. Hierbei konnte man zum einen erkennen, dass nutzungsspezifische Differenzierungen (Wohngebiet, Wald/Brache, Gewerbegebiet) in Bezug auf die tolerierbaren Gehalte im Boden möglich sind; zum anderen ließ sich feststellen, dass die einzelnen Pfade als unterschiedlich wirksam einzuschätzen waren, wobei die folgende Reihenfolge in der relativen Bedeutung zur Abschätzung der Gesamtexposition aufgestellt wurde:

über Pflanzen >> dermal > oral > pulmonal

Aus der Verschneidung von Expositionsberechnung und toxikologischen Grundlagen ergaben sich die Vorschläge für nutzungsspezifische Handlungswerte für den Boden.

Ergebnis der Gefährdungsabschätzung: Handlungswerte Boden
  kurzfristig
(bis 1 Tag)
mittelfristig
(bis 7 Jahre)
langfristig
(bis lebenslang)
Wohngebiet (mit Nutzgarten) 1.500 0,2 0,02
Wohngebiet (ohne Nutzgarten) 1.500 50 15
Wald / Brache 1.500 100 100
Gewerbegebiet - 300 50
Angaben in mg TNT-Äquivalente / kg Trockenmasse

Parallel zur Gefährdungsabschätzung für den Standort des DAG-Geländes in Stadtallendorf wurden entsprechende Arbeiten für den Rüstungsaltstandort Hessisch-Lichtenau durch die FoBiG GmbH, Freiburg durchgeführt. Zur Harmonisierung der fachlichen Grundlagen für die Beurteilung der Bodenbelastungssituation im Hinblick auf das Schutzgut Mensch wurden beide Ansätze miteinander verglichen und unterschiedliche Sichtweisen oder auch Schlussfolgerungen zusammengeführt.

Das Ergebnis des Harmonisierungsprozesses diente als Grundlage zur Verabschiedung einheitlicher Eingreifwerte für die Bodensanierung in Hessen, die mit Schreiben des Regierungspräsidiums Gießen vom 13. Juli 1995 verbindlich für die beiden Standorte festgehalten wurden.

Eingreifwerte
  Eingreifwert
Wohngebiet (ohne Nutzpflanzenanbau) 20
Wohngebiet (mit Nutzpflanzenanbau) 0,02
Gewerbe / Industrie 40
Wald / Brache 80
Angaben in mg TNT-TE / kg

Seit der Erarbeitung der Gefährdungsabschätzung ist der Kenntnisstand insbesondere zu den toxikologischen Grundlagen der sprengstoffspezifischen Stoffe fortgeschrieben worden. Seit 1999 gilt zudem die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV), die eine Ableitung von Beurteilungswerten nach einem standardisierten Verfahren vorsieht.

Für rüstungsaltlastenspezifische Substanzen gibt es orientierende Vorschläge für Prüfwerte, die je nach betrachteter Substanz auf spezifischen Expositionspfaden bzw. Wirkungen (toxisch/kanzerogen) beruhen. Mögliche Kombinationswirkungen, bedingt durch ein Stoffgemisch, werden bei gemeinsamen Wirkendpunkten (z.B. blutschädigende Wirkung, Kanzerogenität) durch Summenbildung berücksichtigt. Ist dieser gemeinsame Wirkendpunkt nicht gegeben, ist eine Einzelstoffbewertung erforderlich.

Die Ergebnisse der Gefährdungsabschätzung haben auch nach Anlegen der aktuellen Beurteilungsmaßstäbe Bestand. Vergleiche zeigen, dass sowohl die Anwendung der abgeleiteten Äquivalenzfaktoren als auch die Betrachtung von Kombinationswirkungen gemäß Prüfwertekonzept nach BBodSchV zu übereinstimmenden Ergebnissen füht.

Sanierungsplanung

Die Sanierungsplanung für einzelne Sanierungsteilräume erfolgt einerseits auf Grundlage der Ziele, die im Projekthandbuch formuliert sind und andererseits auf den Ergebnissen der Erkundung.

Der Sanierungsplan enthält, ausgehend von der festgestellten Belastungssituation und den durch die Örtlichkeit vorgegebenen Randbedingungen, die umfassende Beschreibung der beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen. In Texten und Plänen werden die technischen Maßnahmen (z.B. Bodenaushub), Transportwege, Maßnahmen zum Immissionsschutz und zur Arbeitssicherheit sowie der Qualitätssicherungsplan dargestellt. Ergänzend sind im Einzelfall Rodungsmaßnahmen und die Eingriffe in Natur und Landschaft darzustellen und zu bilanzieren.

Details des Sanierungsplans (z.B. Transportstrecken, Arbeitszeiten) wurden mit den betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern abgestimmt; Anregungen wurden, soweit machbar, umgesetzt.

Genehmigungsverfahren

Die Sanierungspläne wurden durch das Regierungspräsidium Gießen nach dem Hessischen Altlastengesetz in Verbindung mit dem Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) in Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung genehmigt.

In die Zustimmung zum Sanierungsplan konnten auch andere öffentlich-rechtliche Entscheidungen eingeschlossen werden. Dementsprechend waren weitere Fachbehörden und Träger öffentlicher Belange zu beteiligen. Daraus resultierte ein komplexer Verfahrensablauf.

In einem "Verfahrenskonto" informierte das Regierungspräsidium Gießen über den beabsichtigten zeitlichen Ablauf sowie den aktuellen Bearbeitungsstand des Verfahrens.